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Verjährung von Schadensersatzansprüchen einer Aktiengesellschaft gegen ein Aufsichtsratsmitglied

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7 Dez, 2018
Verjährung von Schadensersatzansprüchen einer Aktiengesellschaft gegen ein Aufsichtsratsmitglied

Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen einer Aktiengesellschaft gegen ein Aufsichtsratsmitglied gem. § 116 S. 1, § 93 Abs. 2, Abs. 6 AktG wegen Verjährenlassens von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegen ein Vorstandsmitglied beginnt gem. § 200 S. 1 BGB mit dem Zeitpunkt der Verjährung des Ersatzanspruchs der Gesellschaft gegen das Vorstandsmitglied. Das gilt auch dann, wenn der Ersatzanspruch der Gesellschaft gegen das Vorstandsmitglied darauf beruht, dass dieses Einlagen an das Aufsichtsratsmitglied zurückgewährt hat.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine börsennotierte AG, die ein Software-Unternehmen betreibt. Der Beklagte erwarb am 2.9.2002 27,4 % des Grundkapitals der zu diesem Zeitpunkt insolvenzreifen Klägerin und war vom 7.10.2002 bis August 2013 Vorsitzender des Aufsichtsrats. Außerdem verfügte er in den Jahren 2005 bis 2011 über die Mehrheit der Stimmrechte in den Hauptversammlungen. Am 5./6.9.2002 schloss die Klägerin mit ihren finanzierenden Banken, der C-Bank, der D-Bank und der Sparkasse M, bei denen sie mit Kontokorrentkrediten von über 11 Mio. € im Soll stand, einen Vergleich, der vorsah, dass ein Betrag von rd. 5,6 Mio. € nebst Zinsen bis zum 30.9.2002 zurückgeführt werden sollte und die Banken sich im Gegenzug zum Verzicht auf den Restsaldo und zur Freigabe von Drittsicherheiten nach der Zahlung bereit erklärten. Der Beklagte trat dem Vergleich mit Vereinbarung vom selben Tag bei und erklärte sich zur Zahlung des hälftigen Ablösebetrages nebst Zinsen bereit.

Am 6.9.2002 schlossen die Klägerin und der Beklagte eine „Kauf-, Abtretungs- und Darlehensvereinbarung“, mit der die Klägerin die Hälfte ihrer Kaufpreisansprüche gegen die A-GmbH aus der Veräußerung ihrer Geschäftsanteile an der S-GmbH an den Beklagten verkaufte und übertrug. Nach dieser Vereinbarung sollte der Beklagte den Kaufpreis für die abgetretenen Ansprüche durch eine Vereinbarung mit den Gläubigerbanken erbringen, in der er sich diesen gegenüber zur Zahlung der Hälfte eines Ablösebetrages von 5,6 Mio. € zzgl. Zinsen verpflichtete. Von ihm hierauf erbrachte Zahlungen an die Banken sollten ebenso wie eine Zahlung von 375.000 €, die der Beklagte der Klägerin bereits zuvor zur Verfügung gestellt hatte, als Kaufpreiszahlung gelten. Außerdem konnte der Beklagte den hälftigen Ablösebetrag nebst Zinsen bis zum 30.9.2002 auch dadurch erbringen, dass ihm die Aufrechterhaltung oder Öffnung einer entsprechenden Linie bei der Sparkasse M gelang. Zudem wurde klargestellt, dass er der Klägerin einen Betrag von bis zu 1,35 Mio. € auf der Grundlage eines erarbeiteten Liquiditätsplans zur Verfügung stellen werde.

Für den Fall, dass der Kaufvertrag mit der A-GmbH nicht bestehen bleiben sollte, vereinbarten die Parteien am 27.9.2002 ergänzend die Abtretung der hälftigen Kaufpreisansprüche der Klägerin gegen einen anderen Erwerber an den Beklagten. Am 30.9.2002 überwies der Beklagte rd. 1,26 Mio. € auf das Konto der Klägerin bei der C-Bank, die daraufhin für sich und die D-Bank die Erfüllung des Vergleichs vom 5./6.9.2002 erklärte. Die Sparkasse M teilte nach weiteren Verhandlungen Ende Oktober 2002 mit, dass sie auf einen Betrag von rd. 3 Mio. € des Sollsaldos der Klägerin von ca. 6,2 Mio. € verzichte und der Klägerin wegen des Restbetrags einen bis zum 15.1.2003 befristeten Kontokorrentkredit gegen bereits bestehende Sicherheiten gewähre. Zudem räumte sie der Klägerin einen weiteren Kontokorrentkredit über 2,7 Mio. € ein, für den der Beklagte sich selbstschuldnerisch verbürgte. Außerdem überwies der Beklagte am 4.9.2002 an die Klägerin 375.000 € und leistete am 10. und 20.12. weitere 150.000 € und 175.000 € auf ihr Konto bei der Sparkasse M.

Am 30.10.2002 veräußerte die Klägerin ihre Anteile an der S-GmbH an die D. Ltd., die den Kaufpreis bei einem Notar hinterlegte. Dieser kehrte daraus auf Weisung der Klägerin am 17.12.2002 einen Betrag von 890.100 € und am 30.12.2002 weitere rd. 500.000 € an den Beklagten aus. Außerdem zahlte die Klägerin am 25.3.2003 dem Beklagten ein Darlehen von 133.000 € zurück, welches dieser am 22.11.2002 der E. UK gewährt hatte. Bei der E. UK handelte es sich um eine frühere hundertprozentige Tochtergesellschaft der Klägerin, die diese im Jahr 2000 zu 80,1 % an die M-GmbH & Co. KG veräußert hatte und deren Anteile sie im Jahr 2006 zu einem symbolischen Kaufpreis von 1 € zurückerwarb. Die Klägerin nahm den Beklagten auf Rückerstattung des an ihn ausgekehrten Kaufpreisanteils von 1,38 Mio. € und der Darlehensrückzahlung von 133.000 € in Anspruch. Außerdem begehrt sie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für ihr bereits entstandene oder künftig entstehende Schäden oder sonstige Vermögensminderungen aus der Vereinbarung vom 6.9.2002.

Das LG gab der Klage im Wesentlichen statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Entgegen der Ansicht des OLG sind etwaige Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen den Beklagten gem. § 116 S. 1, § 93 Abs. 2 S. 1 AktG wegen Verletzung seiner Aufsichtsratspflichten durch Verjährenlassen von Ersatzansprüchen der Klägerin gegen den Vorstand aufgrund verbotener Einlagenrückgewähr bzw. Rückzahlung eigenkapitalersetzender Darlehen nicht verjährt. Für den Beginn der Verjährung ist insoweit nicht auf den Zeitpunkt der jeweiligen Zahlung bzw. deren Annahme durch den Aufsichtsrat abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Verjährung des Ersatzanspruchs der Gesellschaft gegen den Vorstand.

Als Aufsichtsrat war der Beklagte verpflichtet, eigenverantwortlich das Bestehen von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern aus ihrer organschaftlichen Tätigkeit zu prüfen und, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorlagen, solche unter Beachtung des Gesetzes- und Satzungsrechts und der von ihm vorgegebenen Maßstäbe zu verfolgen. Diese Verpflichtung ergibt sich einmal aus der Aufgabe des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG), wovon auch abgeschlossene Geschäftsvorgänge erfasst werden, zum anderen daraus, dass der Aufsichtsrat die Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern gerichtlich und außergerichtlich vertritt. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, kann er der Gesellschaft nach § 116 S. 1, § 93 Abs. 2 S. 1 AktG zum Schadensersatz verpflichtet sein. Die Verjährung dieses Schadensersatzanspruchs richtet sich nach § 116 Abs. 1 S. 1, § 93 Abs. 6 AktG und beginnt nach allgemeinen Grundsätzen gem. § 200 S. 1 BGB mit der Entstehung des Anspruchs. Das war hier der Zeitpunkt, in dem etwaige Ersatzansprüche der Klägerin gegen den Vorstand wegen der streitgegenständlichen Zahlungen verjährt sind.

Die Rechtsprechung des Senats zum Verjährungsbeginn für die Haftung des GmbH-Geschäftsführers wegen Verjährenlassens von Rückforderungsansprüchen der Gesellschaft nach § 31 GmbHG gibt entgegen der Ansicht des OLG keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Die dortigen Erwägungen sind auf die Haftung des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft nach § 116 S. 1, § 93 Abs. 2 AktG wegen Verjährenlassens von Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand aufgrund verbotener Einlagenrückgewähr nicht übertragbar. Einer solchen verjährungsrechtlichen Gleichbehandlung steht bei der Aktiengesellschaft die besondere Funktion des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan entgegen. Nach § 111 Abs. 1 AktG hat der Aufsichtsrat in erster Linie die Geschäftsführung zu überwachen und in diesem Rahmen aufgrund seiner Eigenschaft als Vertreter gegenüber Vorstandsmitgliedern gem. § 112 AktG ggf. auch Schadensersatzansprüche gegen diese zu verfolgen.

Dem widerspräche es, würde man die Haftung wegen Verletzung dieser besonderen Pflicht zur Anspruchsverfolgung allein wegen wirtschaftlicher Identität des verursachten Schadens generell bereits ab dem Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs gegen den Vorstand verjähren lassen. Da diese wirtschaftliche Identität in den meisten Fällen zumindest teilweise gegeben sein dürfte, würde die Pflicht zur Anspruchsverfolgung damit weitgehend leerlaufen. Maßgeblich ist insbesondere im Hinblick auf den besonderen Schutzzweck der Aufsichtspflicht daher vielmehr, wann die Verletzung der Pflicht zur Anspruchsverfolgung ihrerseits zu einem Schaden der Gesellschaft dem Grunde nach geführt hat. Besteht dieser Schaden in der Undurchsetzbarkeit eines Ersatzanspruchs gegen den Vorstand wegen Verjährung, ist maßgeblicher Zeitpunkt auch erst der Eintritt dieser Verjährung. Dass der Beklagte hier nicht nur Aufsichtsrat, sondern zugleich der durch die verbotene Einlagenrückgewähr begünstigte Aktionär ist, gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.

Danach sind etwaige Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten wegen Verjährenlassens von Schadensersatzansprüchen gegen ihren damaligen Vorstand aufgrund verbotener Einlagenrückgewähr oder unzulässiger Rückzahlung eigenkapitalersetzender Darlehen durch die teilweise Auszahlung des hinterlegten Kaufpreises für ihre Anteile an der S. GmbH und Rückzahlung des Darlehens der E. UK nicht verjährt. Dass der damalige Vorstand die unerlaubten Auszahlungen verschwiegen und selbst später nicht zurückgefordert sowie die daraus resultierenden Ersatzansprüche nicht in unverjährter Zeit gegen sich selbst geltend gemacht hat, begründet keine neue, zusätzliche Schadensersatzverpflichtung des Vorstands, die ggfs. einer eigenen, später beginnenden Verjährung unterliegen würde. Insoweit sind die Grundsätze der Senatsentscheidung vom 29.9.2008 (II ZR 234/07) übertragbar, weil der hier in Rede stehende Schaden der Klägerin bereits mit Vornahme der verbotenen Auszahlungen entstanden ist, die Nichtrückforderung/-beitreibung durch den Vorstand demgegenüber keinen erneuten Schaden verursacht hat und schließlich eine Verletzung derselben (Geschäftsführungs-)Pflichten des Vorstands vorliegt.

(BGH 18.9.2018, II ZR 152/17)