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Gesetzlicher Mindestlohn: Zur Anrechenbarkeit von Prämien

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16 Feb, 2018
Gesetzlicher Mindestlohn: Zur Anrechenbarkeit von Prämien

Nicht nur das dem Angestellten gezahlte Grundgehalt ist zur Erfüllung des Mindestlohnanspruchs geeignet, auch vom Arbeitgeber gewährte Prämien (hier: für durchgehende Arbeitsfähigkeit, Sauberkeit und Ordnung) können mindestlohnwirksam sein. Mindestlohnwirksam sind alle im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen mit Ausnahme der Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen.

Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs. Der Kläger ist seit 2010 bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Er arbeitete in den Monaten Januar sowie März bis September 2015 an fünf Tagen pro Woche jeweils 9,6 Stunden. Dabei fielen im Mai und August 21 Arbeitstage, im Juli 23 Arbeitstage und in den übrigen Monaten 22 Arbeitstage an. Die Beklagte zahlte dem Kläger ein Grundgehalt von rd. 1.600 € brutto mtl. Zusätzlich wurde bei Einhalten bestimmter Verhaltensregeln eine „Immerda-Prämie“ von 95 € (für durchgehende Arbeitsfähigkeit), eine Prämie für Ordnung und Sauberkeit von 50 € und eine „Leergutprämie“ von 155 € (für korrekten Umgang mit Leergut) gezahlt.
Der Kläger ist insbesondere der Ansicht, die Beklagte habe den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht erfüllt. Die von ihr im Streitzeitraum gezahlten Prämien seien nicht mindestlohnwirksam. Die Beklagte ist der Auffassung, die von ihr gezahlten Prämien seien im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachtes Arbeitsentgelt, die den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn miterfüllten.
Das ArbG gab der Klage in dem in der Revision noch anhängigen Umfang statt und verurteilte die Beklagte außerdem zur Zahlung von 510 € brutto als weitere „Immerda-Prämie“ für die Monate Februar bis Juli 2015. Das LAG sprach dem Kläger lediglich für den Monat Juli 2015 eine auf § 1 MiLoG gestützte Differenzvergütung i.H.v. rd. 67 € brutto zu. Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Auf die Revision der Beklagten hob das BAG das Berufungsurteil auf und wies die Klage, soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist, ab.
Die Gründe:
Der Anspruch des Klägers auf den gesetzlichen Mindestlohn ist mit der Zahlung von rd. 1.900 € brutto in jedem der streitgegenständlichen Monate durch Erfüllung erloschen, § 362 Abs. 1 BGB.
Der Arbeitgeber hat den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit – im Streitzeitraum – 8,50 € ergibt. Das ist vorliegend der Fall. Denn nicht nur das dem Kläger gezahlte Grundgehalt von 1.600 € brutto ist zur Erfüllung des Mindestlohnanspruchs geeignet, auch die ihm von der Beklagten gewährten Prämien sind mindestlohnwirksam.
Weil der Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 S. 1 MiLoG „je Zeitstunde“ festgesetzt ist und das Gesetz den Anspruch nicht von der zeitlichen Lage der Arbeit oder den mit der Arbeitsleistung verbundenen Umständen oder Erfolgen abhängig macht, sind mindestlohnwirksam alle im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen mit Ausnahme der Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen. Auch die Entstehungsgeschichte des MiLoG gebietet kein anderes Verständnis. Der Begriff der „Normalleistung“ hat keinen Eingang in den Wortlaut des MiLoG gefunden.
Danach sind die streitgegenständlichen Prämien mindestlohnwirksam. Mit der Zahlung der „Immerda-Prämie“ honoriert die Beklagte nicht nur die bloße Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb, sondern die Erbringung der Arbeitsleistung. Die Prämie soll einen finanziellen Anreiz geben, auch bei (geringfügigen) gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu arbeiten und sich nicht krankschreiben zu lassen. Auch die Prämie für Ordnung und Sauberkeit ist Gegenleistung für eine Arbeitsleistung des Klägers. Sie honoriert Sauberhalten und Desinfektion des zum Transport von Frischfleisch benutzten Fahrzeugs. Diese Aufgaben sind Teil der vom Kläger zu verrichtenden Tätigkeiten. Dasselbe gilt für die „Leergutprämie“. Sie ist Gegenleistung für die ordnungsgemäße Abwicklung des von den belieferten Kunden an den Kläger zurückzugebenden Leerguts und unterliegt daher dem umfassenden Entgeltbegriff des MiLoG.
(BAG 8.11.2017, 5 AZR 692/16)